Das wird euch sicherlich noch vom Rennen in Dinslaken bekannt vorkommen und bei mir scheint es wirklich Tradition zu werden, auf harmlose Nachrichten mit dieser „Halt mal grad mein Bier“-Haltung reagieren. So geschehen auch am Mittwoch, als in meiner Gruppe hier vor Ort von Raphael – nein nicht DER Raphael, der am vergangenen Sonntag das 102. Rennen Rund um Köln souverän für sich entscheiden konnte, der Raphael von hier ist irgendwie so ganz anders: schlaksig, lang, weniger kräftig gebaut und viel weniger rennerfahren – von ihm war folgender Text zu lesen:
„Fahre heut zum Kesseln fürs 2. Mittwochskriterium nach Stuttgart. Abfahrt spätestens 18:15 Uhr in Echterdingen. Treffpunkt in Stuttgart ist 19:00 Uhr am ‚Flora und Fauna‘, falls noch jemand mitmöchte, einfach schreiben.“
Ihr wisst sicherlich in etwa, wie es jetzt weiter geht… Genau! 15:45 Uhr, noch 2,5 Stunden bis zur Abfahrt…also rechnen… Heimweg 20-25 Minuten, Zeit für umziehen mas o meno, essen…Mist, ich sollte besser in 45 Minuten Feierabend machen. Also deepwork-Modus an, To-Do-Liste im Schweinsgalopp abarbeiten, zusammenpacken, raus aus dem Büro und heute besser nicht verabschieden, schon gar nicht beim Chef, denn der hält einen garantiert noch in Gesprächen verhaftet und nach der gebrauchten Woche in Bezug auf Training durch jede Menge megaschlechtes Wetter und gewaltig viel Arbeit, musste und wollte ich den Rest vom Vortag noch „nachsitzen“, denn so ein Trainingsplan, noch dazu wenn er vom Meister selbst kommt (Danke nochmal Raphael – jetzt ist DER Raphael gemeint) ist keine unverbindliche Empfehlung, sondern dringend umzusetzen. Also daheim flugs etwas gegessen, wobei es treffender ist zu sagen, etwas in den Kopf gedrückt, in Schale geworfen und los.
Verflixt, schon 18.20 Uhr, jetzt heißt es Gas geben um rechtzeitig um 19.00 Uhr an der ‚Flora und Fauna‘ zu sein. Es liegen gut und gerne 20 km bis Stuttgart vor uns, im Feierabendverkehr über das Alpe d’Huez von Katharinental, durch die Innenstadt, den Schlosspark durch und um die Menschenmassen herum. Scherze unterwegs mit der Stuttgarter Polizei sind irgendwie nicht so gut angekommen oder einfach nicht verstanden worden, also ducken und weg.
Punktlandung!
„Ziemlich bunte Truppe“ dachte ich so während des Wartens. „Was wird mich wohl erwarten?“ Hier waren jede Menge Leute mit Fixies, mit Lastenrädern, Falträdern, Trekkingrädern. „Fahren die alle mit?“ Hätte man aber anhand der „Ausschreibung“ erahnen können:
„Einmal im Monat lassen wir den Asphalt in Stuttgart brennen! Kein Podium wird dem Ruhm und der Ehre gerecht, die du bei unseren frischen, urbanen Radrennen erlangst!
In ganz Stuttgart wollen wir uns messen! Lerne die Stadt neu kennen, wenn du den Kesselrand bezwingst, möglichst viel Druck auf die Pedale bringst und wir uns anschließend vor den Bars dafür feiern.
Keine Frage, starke Beine sind gefragt – viel wichtiger dabei: der Spaß! Mitmachen kann JEDER, egal wie viele Gänge, Räder oder Kilos der Drahtesel hat. Wen Ruhm und Ehre nicht locken, ist willkommener Zuschauer und Unterstützer am Streckenrand. Entschieden könnt ihr euch noch an der Location.
Jeden zweiten Mittwoch im Monat um 19 Uhr treffen wir uns an einem bestimmten Treffpunkt. Danach geht es gemeinsam zur Rennlocation.
Das jeweilige Rennformat geben wir kurz vorher bekannt.
Für ausreichend Sportgetränke ist gesorgt.
Wir bitten alle Teilnehmer einen Helm zu tragen, taugliche Beleuchtung mitzunehmen und die StVO einzuhalten. Jeder Teilnehmer fährt auf eigenes Risiko.“
Nach einer viertel Stunde geht es endlich weiter zum Austragungsort auf den Wasen, dort hatten die Organisatoren des Kesseln – im Kern sind das die RADBANDE, die STUTTGARTER VELOHELDEN und die HHCC – eine Strecke für ein Kriterium erdacht, markiert und gefegt. Später habe ich erfahren, dass die Organisatoren noch weitere Veranstaltungen durchführen, z.B. DIE GOLDENE ANANAS, RÜCKTRITTRENNEN, usw. Es folgt weiteres Warten während der Bestandsaufnahme, Besprechung des Rennmodus und der Entscheidung wer alles teilnehmen will und wer nicht. Es werden zwei Gruppen „Schalter-Rennen“, eine Damengruppe, eine Fixie-Gruppe gebildet. Die Schalter dürfen heute Abend alle zweimal fahren, Vorrunde und Finalrunde. Ich sehe mich um und stelle fest, hier steht heute der gemeinsame Spaß im Vordergrund, „sportlicher Erfolg“ ist sekundär und sportlicher Ehrgeiz tritt in den Hintergrund, jedoch nicht bei jedem. Einige wenige nehmen den Wettstreitcharakter sehr ernst. Aber ich schweife ab, allerdings nur, weil es halt sehr bunt und anders war, es gibt überall was zu bereden, zu trinken, zu albern und und und.
Kommen wir wieder zum Rennen. Es gibt keinen Startschuss, als Signal muss ein einfaches 3-2-1-Los genügen. Anders als in jedem anderen Rennen klappt das Einklicken sofort, nach kurzem Antritt finde ich mich ganz vorne, was nach wie vor verwirrend für mich ist. Wurscht, nachsitzen war angesagt, also „durchlatschen“, irgendwann holen sie dich ein…denkste…Es wird ein fast ungefährdeter Start-Ziel-Sieg. Mein erster Sieg. Ihn zu feiern wäre unangebracht, ich glaube mein Ehrgeiz ist irgendwie ohnehin aufgefallen. Das zweite Rennen versuche ich genau zu beobachten, um die Gegner fürs Finale einzuschätzen, aber ich lasse mich immer wieder vom Fun der Veranstaltung ablenken, warum auch nicht, der Spaß steht ja im Vordergrund…für die meisten…
Das Finale beginnt ganz anders als das erste Rennen, dank meines altbekannten Problems: Ich komme nicht ins Pedal. Noch vor der ersten Kurve finde ich mich an Position acht, kämpfe mich im Verlauf der ersten beiden Runden an drei vor und da bleibe ich, ich wollte strategisch fahren. Das geht Runde um Runde gut. In Runde 5 ein kurzer Schreckmoment: einer der Teilnehmer setzt mit dem Pedal auf, wie er das abgefangen hat, ist wahrlich schleierhaft aber er bleibt aufrecht. Weiter geht’s. Zwei Runden später, derselbe Fahrer, dieses Mal ist es das Hinterrad, das auf sandiger Strecke wegrutscht. Erneut bleibt er aufrecht, wird aber fortan nicht mehr in der Spitzengruppe gesehen. Zu viert setzen wir uns weiter ab, ich bleibe an 3. Einmal nur möchte ich kontrolliert fahren, ich will das Rennen im Sprint für mich entscheiden. Die letzte Runde wird aufgerufen – ein Einläuten ist wegen fehlender Glocke nicht möglich. Ein Teilnehmer schießt wie eine Rakete an uns vorbei und rast auf die erste Kurve zu. Ich befürchte, dass er die bereits die erste Kurve nicht schafft…gut gegangen… allerdings ist für ihn dann in nach der zweiten Kurve Schluss. Etwas zu überambitioniert legt er sich ab, genau vor mir. KRACH! Bremsen, runter von der Strecke, ausweichen, selbst aufrecht bleiben, versuchen an das Führungsduo heran zu kommen und dann nichts mehr für den Sprint übrig haben. 3. Platz am Ende eines irgendwie gestörten, aber geilen Abend.
Im Dunkeln geht es ab nach Hause. Ohne Licht und wieder über „Alpe d’Huez“ (Anm. für Raphael: Scheibe hab ich stehen lassen) 20 km Richtung Heimat.
Die anderen Rennen, Fixies und Damen will ich hier natürlich nicht unterschlagen. Bei den Fixies hat auch jemand gewonnen, das Damenrennen geht ohne Sieger aus, Disqualifikation wegen fehlender Ernsthaftigkeit. *LOL* Die Begründung ist mal klasse. Genauso klasse wie der restliche Abend. Kontakte knüpfen, schwatzen, Bier trinken, Rad fahren, kurz: Spaß haben. Das ist es doch, worum es eigentlich geht. Und ums Gewinnen.
Beim nächsten Mal bin ich wieder mit von der Partie, vorausgesetzt es kommt wieder eine whatsApp. Jetzt heißt es erst einmal Gute Nacht und am Samstag ab nach Gran Canaria, ein wenig Spaß haben.
— André
Netter Bericht, gute Fotos 😉
Grüße
Lutz
also Nett im Sinne von Gut -> Schwäbisch und so…